Schulden sind ein heikler Wachstumstreiber
In der Schweiz verschulden sich die Menschen immer stärker. Gleichzeitig kommen weniger Ausländer ins Land. Hält diese Situation an, wäre das negativ für die Schweizer Wirtschaft.
11. Oktober 2017
Die Schuldenquote gibt an, wie sich die Schuldensituation eines Landes im Vergleich zur Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) darstellt. Das heisst: Wenn die Schuldenquote eines Landes steigt, könnte das zwei Ursachen haben: Entweder die Verschuldung nimmt zu, oder die Wirtschaftsleistung ist schwach.
In der Schweiz ist derzeit beides zu beobachten: Das Wirtschaftswachstum ist im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Gleichzeitig steigen die von den Banken ausgegebenen Kredite zügig an. «Im Vergleich zum nominalen BIP hat die Summe der Ausleihungen der Banken im laufenden Jahr neue Höchststände erreicht», so Reto Huenerwadel, Leiter des HBL Asset Managements, im Börsenvideo des HBL-WebTV.
Das Phänomen ist nicht neu: Nach einer Phase der Konsolidierung in den 1990er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends hat sich die Schuldenquote des privaten Sektors seit 2005 gemäss dem Ökonomen Huenerwadel konstant vergrössert. In einer ersten Phase der Finanzmarktkrise war dies dem schwachen Wirtschaftswachstum zuzuschreiben: «Auch bei gleichbleibendem Verschuldungsgrad steigt die Schuldenquote, wenn sich das BIP zurückentwickelt, wie das in der Schweiz 2009 nach der Finanzkrise der Fall war», so der Anlagechef der Hypothekarbank Lenzburg.
Risikoappetit hat zugenommen
In den letzten Jahren hingegen sei die steigende Schuldenquote vor allem auf die stärkere Kreditnachfrage von Privatpersonen zurückzuführen. Kein Wunder: Das Geld ist billig (tiefe Zinsen), die Jobsituation hat sich verbessert, und der Risikoappetit der Privaten ist grösser geworden und mit ihm die Neigung sich zu verschulden.
Die Mehrzahl der Schulden sind gemäss Huenerwadel Hypothekarkredite von privaten Haushalten. Dabei sei die effektive Verschuldung der Schweizer höher, als sie in den offiziellen SNB-Statistiken ausgewiesen werde. Das habe damit zu tun, dass neben den Banken in den letzten Jahren immer mehr Versicherungen und Pensionskassen als Hypothekenverkäufer auf den Plan getreten seien.
Wirtschaftlich problematisch ist eine hohe Schuldenquote aus verschiedenen Gründen. Zum Beispiel wegen der Geldpolitik: «Würde die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Zinsen erhöhen, hätten die Privathaushalte eine höhere Schuldenlast zu tragen, was auf die Stimmung drücken und letztlich die Wirtschaft schwächen würde», sagt Huenerwadel. Liesse die SNB hingegen die Zinsen unverändert lassen, verschuldeten sich die Haushalte noch stärker und das Problem verschärfte sich weiter.
Ungleichgewichte bestehen
Mit dem 2013 aktivierten sogenannten antizyklischen Kapitalpuffer hat sich die Nationalbank zwar einen Ausweg aus dem Dilemma zu schaffen versucht. Die Massnahme verlangt von Banken zusätzliche Kapitalunterlegung bei der Vergabe von Hypothekarkrediten, was die Verschuldung weniger attraktiv machen und einen bremsenden Effekt auf die Entwicklung haben sollte. «Wie aber die SNB in ihrer letzten Lagebeurteilung feststellen musste, bestehen die Ungleichgewichte auf dem Immobilienmarkt weiterhin», so Huenerwadel. Für ein gesundes Wachstum sei das suboptimal.
Wirtschaftlich gesehen ungünstig ist auch die Situation im Migrationsbereich. «Das ist nicht unbedeutend, denn die Zuwanderung ist zentral für die Bestimmung des Potentialwachstums und für die Geldpolitik der Schweiz», so der Ökonom weiter. Und die Migration sei auch eine wichtige Grundlage für weitere Aspekte der Volkswirtschaft. Zum Beispiel für den Immobilienmarkt: Eine hohe Zuwanderung sorge für zusätzliche Wohnraumnachfrage. Zude sei die Migration auch für das Arbeitsangebot und die Lohninflation, also die Entwicklung der Löhne, von zentraler Bedeutung.
Für die Schweizer Wirtschaft war es deshalb gemäss Huenerwadel insgesamt günstig, dass die Migrationsstatistik seit Anfang des neuen Jahrtausends eine überdurchschnittliche Einwanderung und damit einen steigenden Migrationssaldo für die Schweiz zeigte. «Das war gleichzusetzen mit zusätzlichen Wachstumsstimuli», sagt der Finanzmarktprofi.
Veränderte Wirtschaftsbilanz
Nun aber scheint sich im Vergleich zu den letzten Jahren 2017 eine geänderte Dynamik beim Migrationssaldo zu ergeben: Zumindest bis von Januar bis August 2017 war der Wanderungssaldo der Schweiz rückläufig. «Man muss ja nicht gleich den Teufel an die Wand malen: Aber die Zuwanderung war eine wesentliche Ursache für das wirtschaftliche Wohlergehen der Schweiz seit der Jahrtausendwende», so Huenerwadel. Falle dieser Faktor weg, verändere sich in der wirtschaftlichen Gesamtbilanz unseres Landes eine zentrale Grösse.
Kurzum: Schuldenquote und Migrationsquote fallen als Lieferanten zusätzlicher Wachstumsimpulse für die Schweiz derzeit weg. Wo sich trotzdem Chancen für Investoren ergeben, erfahren Sie im zugehörigen Börsenclip des HBL-WebTV.
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